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Epitaphien: Auf den Spuren des Totengedenkens in der Sebastianskirche Neuthard

Epitaphe sind eine besondere Art von Gedächtnismalen, welche die Erinnerung an den Verstorbenen mit einem Bildwerk und einem inschriftlichen Todesvermerk verbinden. Sie sind nicht an den Begräbnisort gebunden und meist in oder an einer Kirche angebracht.
Begibt man sich in der Sebastianskirche in Neuthard auf Spurensuche, so kann man drei Grabsteine aus dem 18. Jahrhundert finden, die in früherer Zeit außen an der Kirchenmauer angebracht waren. In den 1980er Jahren wurden sie restauriert und fanden seitdem im Innern der Kirche einen Platz. 

Foto: Heimatforschung Neuthard

Der erste Grabstein erinnert an Pfarrer Georg Adam Hebenstreit. Für fast drei Jahrzehnte, von 1739 bis zu seinem Tod 1768, hatte er die Pfarrstelle in Neuthard inne, in späteren Jahren wurde er zudem zum Dekan (Landdechant) des Landkapitels Bruchsal ernannt. Pfarrer Georg Adam Hebenstreit war ein reger Pfarrer. Aus den Akten ergibt sich das Bild eines Menschen, der einerseits bedingungslos für seine Glaubensüberzeugungen eintrat, andererseits keine Konflikte scheute und weltliche Vorschriften nicht immer einhielt.

Die 1602 erbaute Kirche in Neuthard – inzwischen baufällig - ließ er reparieren und verschönern, nachdem ihm die Genehmigung einer neuen Kirche verweigert wurde. 1747 schrieb er einen Status über die Pfarrei Neuthard, dabei hat er alles erfasst, was er von seinen Vorgängern und den älteren Leuten in Erfahrung brachte.

Zeitlebens hatte seine Sorge den Armen gegolten. In seinem Testament, welches er am 29. Mai 1768, drei Wochen vor seinem Tod aufsetzte, bestimmte er den größten Teil seines nicht unbeträchtlichen Vermögens für die Neutharder Kirche und ihren Almosenfonds. Zu Ehren des auf dem alten Friedhof in Neuthard ruhenden Pfarrers Hebenstreit hat die Gemeinde eine Straße nach ihm benannt.

Die Inschrift des Epitaph lautet: HIC SEPULTUS EST: PLURIUM REVEREND &  AMPLISSIMUS DOMINUS D. GEORG ADAM HEBENSTREIT. BEBERSTADII IN EICHSFELDIA XXIX. FEBR. Ao MDCCXII NATUS. Ss THEOL. LIC. VEN. CAPITULI RUR. BRUCHSAL. DECAN. PER XXX. ANNOS VIGIL. IN NEUTHARD PAROCHUS
QUI
UT MORIENS SUCCUURRERET INDIGIS ET MORTUUS ALERET VIVOS CIVICOS PAROCHIAE SUAE PAUPERES INSTITUIT HEREDES & RELICTO EIS IN FUNDUM ASSE 2100 FLOREN.PIE OBIIT DIE XIX. JUNI ANNA REPAR. SALUTIS MDCCLXVIII. R. I. P. 

Sinngemäß übersetzt: „Hier ist beerdigt der hochwürdige und hochgeehrte Herr D. Georg Adam Hebenstreit aus Beberstadt im Eichsfeld, am 29. Februar 1712 geboren, Licentiat der heiligen Theologie, in das Landkapitel Bruchsal gekommen, über 30 Jahre Dekan und Pfarrer in Neuthard, der noch sterbend den Bedürftigen beistand und nach seinem Tode den Armen und noch lebenden Bürgern seiner Pfarrei ein Testament verfasste, worin er ihnen ein Vermögen von 2100 Gulden hinterließ. Sanft entschlafen am 19. Juni im Jahr der Erneuerung des Heils 1768. R.I.P. (Ruhe in Frieden).“

Der Grabstein ist aus gelbem Sandstein gehauen, in der Mitte oben steht das Symbol des Priestertums, der Kelch. Darunter das Familienwappen, links das Stundenglas und rechts die abgebrochene Kerze zum Zeichen der Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Foto: Heimatforschung Neuthard
Im unteren Teil der Totenkopf mit dem Birett, wie es früher die Geistlichen auf dem Weg zur Kirche und zur Kanzel trugen. Foto: Heimatforschung Neuthard
Foto: Heimatforschung Neuthard

Der zweite Grabstein erinnert an Hebenstreits Neffen, den jung verstorbenen Gregor Valentin Schollmaier. Das Bildfeld zeigt den Tod als Schnitter, der mit der Sense die Ernte einbringt. Am linken Bildrand ragt ein früchtetragender Baum auf, nach rechts ist der Blick frei auf die Ruinen einer Stadt am Fuße eines Gebirges, hinter dem die Sonne auf- oder untergeht. Unter dem Bild steht in einer Rokoko Kartusche (Zierrahmen) folgender Vers:
Sterbling bleib ein wenig still stehenBetrachte, waß Du hier thuest sehen,frische Blum ist gemehet ab.So dahier welke im Grab.Frische Jugend thue nicht pochenauff deine noch jungen Knochen.Wer du bist, bin gewesen Ich.Wer Ich bin, wartet auch auf dich. 
 
 
Auf der rechten und linken Seite der Gedenktafel des verstorbenen Schollmaier steht in Latein geschrieben folgender Text:


HIC REQUIESCIT  INGENUUS  PIUS  ET  MAXIMAESPEI  ADOLESCENS GREGORIUS VALENTINUSSCHOLLMAIIER EICHSFELDIACO-BEBERSSTADIENSIS SECUNDANUS MODERNIPAROCHI EX SORORE  NEPOS NATUS  1732. 18. OCT.DENATUS 26. AUG. 1746 
(„Hier ruht der edle, fromme und zu größter Hoffnungberechtigende Jüngling Gregor Valentin Schollmaieraus dem eichsfeldischen Beberstadt, Sekundaner, des jetzigenPfarrers Neffe, von seiner Schwester geboren am                                                                                                                      Oktober 1732, gestorben am 26. August 1746“.) (+)
  
Gregor Valentin Schollmaier wird als „Secundanus“ (Gymnasialschüler) bezeichnet. Aus welchem Grund er sich bei seinem Onkel in Neuthard aufhielt, konnte nicht ermittelt werden. 

Foto: Heimatforschung Neuthard

Oben ist ein Bibelvers in deutscher Sprache eingearbeitet, welcher unter Zugrundelegung römischer Zahlen (Chronogramm) verschlüsselt das Todesjahr angibt, somit 1746.

Er hatte eIne kVrtze ZeIt geLebt. Ist aVfgangen VVIe eIne frIsChe BLVM, so aber Vertretten VVorDen. Tob. 14,21(Er hatte eine kurze Zeit gelebt, ist aufgegangen wie eine frische Blum, so vertreten worden) 
M + D + C + L + L + V + V + V + V + V + V + V + V + I + I + I + I + I + I                                                                                                      = 1000 + 500 + 100 + 2x50 + 8x5 + 6xI = 1746
 
Derartige Inschriften, Chronogramme genannt, waren damals sehr beliebt. Die hervorgehobenen Buchstaben können zugleich als römische Zahlzeichen interpretiert werden. Addiert man sie, ergibt sich die Jahreszahl 1746.

Unten: „Weil er aber sein Leben geliebet, hatt er ihn auch schnell mitten aus anderen Bosheiten frühzeitig hinaus geführt.“ Foto: Heimatforschung Neuthard
Heimatforschung Neuthard

Der dritte Grabstein, der in der Sebastianskirche eine Bleibe gefunden hat, erinnert an den Jäger Johann Friedrich Christian Kraus, geb. 1718 in Altenbürg. Er war ein Sohn des fürstbischöflichen Oberjägers Johann Christoph Kraus und dessen zweiter Ehefrau Anna Maria. Die Familie wohnte zunächst im Jägerhaus in Neuthard, bezogen 1750 das neu erbaute herrschaftliche Jägerhaus in Altenbürg, welches unter dem Namen „Burg“ bekannt ist.

Friedrich Kraus blieb zeitlebens ledig und starb im Alter von 45 Jahren in Neuthard. Vor seinem Tod bestimmte er einen Betrag von 15 fl. für den Heiligenfonds zugunsten der damaligen Kapelle an der Büchenauer Straße. 

Das Bildrelief spielt auf den Beruf des Entschlafenen an. Inmitten eines dichten Laubwaldes sitzt der Tod, der hier als Jäger erscheint, auf einem Stein oder Baumstumpf, das Gewehr an seinen linken Oberschenkel gelehnt. Foto: Heimatforschung Neuthard
Foto: Heimatforschung Neuthard

Die Inschrift, wiederum von einer Rocaille-Kartusche gerahmt, hat den Wortlaut:


Allhier ruhetder Ehrsame Junge GesellJohan Friederich Christian Krausseiner Profession ein Jäger seines Alters45 Jahr, ist im Herrn entschlafenden 6ten Dezember 1763.
Gott Lasse aLLe abgestorben GLäVbIge SeeLen rVhen In FrIDen aMen 
 
Diese Inschrift beinhaltet ein Chronogramm, die Addition ergibt die Jahreszahl.M + D + L + L + L + L + L + V + V + I + I + I1000 + 500 + 5x50 + 2x5 + 3x1 = 1763, das Todesjahr
(Rocaille ist das kunstwissenschaftliche Fachwort für die typischen Ornamentgebilde des 18. Jahrhunderts.)